Hetzartikel gegen
die Bösingfelder Juden im lippischen NS-Organ
Wenn sie schraiten Sait’ an Saite !
Ja, aber wer denn? Nun, sie können es sich denken,
das, wenn man ai schreibt, immer eine ganz besonders beliebte Gattung
Menschengeschlechts damit gemeint ist. Wobei ich gleich bemerken möchte, dieses
ai – Feldgeschrei nicht mit ia zu verwechseln.
Denn das letztere ist das Geschrei, des uns bis in
die tiefsten Gründe seiner Seele bekannten Esels. Und das werden sie mir alle
eingestehen müssen, dass zwischen dem Esel und dieser, nun, wie sagt man nur,
äh, etwas undefinierbaren Rassemenschen ein ziemlich großer Unterschied
besteht. Und zwar vorzugsweise in der für uns Gewöhnlichsterblichen noch halt
fast unergründeten Seele der letzteren. Und so kommt es auch, dass wir als ganz
gewöhnliche Mitteleuropäer mitunter von der Anwesenheit einiger Vertreter
dieser sonderbaren ai-Rassemenschen nicht gerade allzu begeistert sind. So ist
es auch in Klein- Palästina. Kennen Sie es? Nein? Nun, dann lernen Sie es
kennen. Ein schöner Ort im lippischen Norden. Neulich sah man sie einmal zu
einer Zusammenkunft eilen. Das heißt, nicht dass sie etwa nun beratschlagen
wollten, wie sie sich zur Auflösung des Gemeinde-Parlaments stellen wollten;
nein, sie wollten Stellung dazu nehmen, ob der „Lippische Kurier“ sich auch
rentieren würde. Nun weiß man nicht, was dort beschlossen wurde, sondern man
sah vorerst nur eine große Masse von einzelnen Gliedmaßen in der Luft
herumfuchteln, die sich bei näherem anschauen dann als Hände entpuppten. Darum
war es mir auch klar, warum dort ein ganz fürchterlicher Krach im Gange war;
wenn man zwei Organe dazu braucht, sich verständlich machen zu können, nun
dann – Und dabei waren erst die wenigsten aller dieser wackeren, sonderbaren
Luftverkehrspolizisten auf dem Versammlungsort. War doch eben erst die große
Namens-Familie Kleeberg eingetroffen. Da waren der Albert, der David mit Frau
und Kind, der Julius mit 3 jungen Mädchen und der Moses mit Frau und zwei Töchtern.
Aber das war schon ein Gesaires. Oh Gott, oh Gott jetzt kommt Herr Katz, seines
Zeichens Rabbiner. „Aih, guten Tag! Nun Moses, deine Großmutter nicht
mitgebracht? Wie gehts denn, was? Ach höre, der Schleyer auch schon da? Ja, ja,
ist sehr schön von Ihnen.“ „Aber ich bitte, diese Nazis werden wir schon
kriegen. Tag, Frau Schleyer, alle 4 Kinder mitgebracht?“ Jetzt kommt die Witwe
Jonas Herzberg und Hermann Herzberg nebst Frau. Diese beiden Herzberg-Familien
sind eigentlich unzertrennlich, verstehen sich zu gut. Nun fehlt nur noch der
Moritz, der Herr Frankenstein, mit Frau und 2 Kindern. Gott, nain, was mache mer
doch firn scheenen großen Haufen. Da kommt er schon. Nun sind wir doch alle da.
„Ja, ja“, stöhnt Herr Schleyer, „dieser Kurier, er macht uns das Leben
hier zur Hölle. Gott wie haißt, werden wir ihn doch nicht abbonieren, ist er
auch nicht die Hölle, was kann denn dieses klaine Blättchen schon für unsern
Laib sein. Ain Schaden, nain.“ Da plötzlich ertönt aus der einen Ecke der
Ruf eines eifrigen Lesers und Werbers des „Lippischen Kuriers“ : „Seid man
nur ruhig, wir haben auch hier schon verschiedene hundert Leser.“ Gottesdunner
nä, verschlägt das die Sprache. Alle Hände bleiben unbeweglich in der Luft.
Bis dann plötzlich der Bann gebrochen wurde, indem sich aus der Ecke ein
qualvolles Stöhnen aus dem gerade nicht allzu kleinen Munde eines nicht gerade
dürren Herrn erhob. „Oh je, wann müssen wir denn nun aigentlich nach Palästina?“
Das war die Angst. Nun, wir können diese Leuchten beruhigen; sie wohnen schon
in Klein-Palästina, wie dieses schöne Örtchen genannt wird; denn auf noch
nicht 2000 Einwohner beinahe 30 Juden ist etwas reichlich, wo wir doch sonst von
den 1% Juden in Deutschland so wie so schon die Nase voll haben. Stimmt’s,
oder stimmt’s nicht?
Quelle: Lippischer Kurier vom
23.10.1930